
Wer in einem Brief die Figur direkt anspricht, hört Nuancen, die Entwürfe sonst glätten: unausgesprochene Vorwürfe, humorvolle Seitenhiebe, zögerliche Pausen. Beim Antworten der Figur verändert sich der Ton automatisch. So schärft sich die Klangfarbe, und falsche Wortwahl, zu glatte Sätze oder unpassende Gesten fallen deutlicher auf.

Ein Brief erlaubt Direktheit, die in der Erzählung oft fehlt. Die Autorin kann der Figur erklären, warum sie Leid zugemutet hat, und um Vergebung oder Widerspruch bitten. Dadurch zeigen sich verschobene Motivlagen, unterlassene Entscheidungen und Szenen, die dringend neu gewichtet, verlangsamt oder ganz gestrichen werden sollten.

Beim Schreiben entsteht eine ungewöhnliche Nähe: Die Figur wirkt fremd und vertraut zugleich, als würde sie kurz die Feder übernehmen. Dieser Schwebezustand offenbart den Anteil biografischer Spuren, kultureller Klischees und literarischer Einflüsse – und macht bewusste, verantwortliche Entscheidungen nachvollziehbar und für spätere Revisionen überprüfbar.